Ein Buch (nicht nur) über Elefanten
Elefanten sind charismatische Tiere. Bereits im Mittelalter kamen einige von ihnen nach Europa. Bei der Bevölkerung genießen die schwersten Landtiere unseres Planeten bis heute große Sympathie. Der ehemalige Direktor des Thüringer Zooparks, Dr. Norbert Neuschulz, hat jetzt über die grauen Riesen ein Buch geschrieben. Es ist ein Abriss sämtlicher Ereignisse , die sich um die exotischen Kolosse im heute 1.276-jährigen Erfurt ranken – bis hin zu den politischen.

Einen führenden Platz nimmt bei dieser ausführlichen Geschichtsbetrachtung natürlich der Zoopark mit seinen bisher 16 Rüsseltieren ein. Der Autor belässt es aber nicht allein dabei, über ihr Leben vor und nach der politischen Wende im alten und neuen Elefantenhaus zu berichten. Immer wieder greift er auch tangierende Themen wie etwa „Zoos in der DDR“, „Woher die Zootiere kamen“, „Elefanenbegabungen“ und die verheerende Elfenbeinwilderei in Afrika auf und fördert selbst für Insider bisher Unbekanntes über den Zoopark zutage. Es wird, wie Zoodirektorin Dr. Dr. Sabine Merz in einem Vorwort für das Buch treffend zum Ausdruck bringt, „die junge Geschichte des Zooparks (…) aufs Engste mit der Elefantenhaltung verbunden“. Bald wird es niemanden mehr geben, der wie der inzwischen hochbetagte erste Direktor des Erfurter Zoos Professor Harald-H. Roth oder der frühere Elefantenpfleger Frank Quensel noch aus erster Hand davon erzählen kann.
Darüber hinaus interviewte der Autor zwei Elefantenspezialisten: Dr. Ann-Kathrin Oerke vom Elefantenservice des Deutschen Primatenzentrums in Göttingen und der Koordinator des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms für die bedrohten Dickhäuer, Zoodirektor Dr. Arne Lawrenz, vom Grünen Zoo Wuppertal geben zur aktuellen Situation des Afrikanischen Elefanten in Europas Zoologischen Gärten Auskunft. Obwohl ihre Zucht in Menschenhand nicht einfach ist, wird am Schluss des Buches eine Prognose gewagt: Was wäre, wenn der zuchterfahrene Bulle Abu aus dem Zoo Halle noch in diesem Jahr nach Erfurt käme und Chupa und Csami ab dann in regelmäßigen Abständen ein Kalb zur Welt brächten?
Das Elefantenbuch ist das jüngste Projekt des Vereins der Zooparkfreunde in Erfurt e.V.. Ohne seine Mitwirkung und die Sponsoren Bernd Schröder, Klaus Neumann, Rüdiger Manes und Claudia Minnella wäre der moderate Preis für das 360-seitige Buch von 28 Euro nicht möglich gewesen. Damit kommt der VZE nicht nur seinen Mitgliedern entgegen, sondern fördert auch das Bürgerinteresse am Thüringer Zoopark und der Einrichtung „Zoo“ schlechthin. Das Buch hat das Format 18 x 25,5 cm. Es ist in jeder gut sortierten Buchhandlung oder beim Buchkurier von Klaus Schüling in Münster erhältlich.
Erfurt und Elefanten gehören zusammen, seit ein Oberbürgermeister 1715 die Elephantographia Curiosa schrieb. Dr. Neuschulz, der zwei Jahrzehnte Zooparkgeschichte prägte, legt nach mit einer Monografie über die Rüsseltiere in Erfurt. Wer denkt, die paar Elefanten eines mittelgroßen Zoos könnten doch kaum ein Buch füllen, irrt gewaltig. Knapp 360 großformatige Seiten füllt die wechselvolle Geschichte, beginnend mit „Marina“, der mit Margarinebildchen finanzierten ersten Elefantin, die 43 Jahre die Ikone des Zooparks war und erst kürzlich als Skelett zurückkehrte. Diese minutiöse Chronologie, die zugleich auch die erste Historie des Zooparks in Buchform ist, stellt ausführlichst kleine und große Elefantenthemen vor:
Der Autor setzt sich kritisch mit den zahlreichen Irrungen und Wirrungen rund um den Ausbau des Zooparks auseinander, von der überambitionierten DDR-Planung 1960 über seine eigenen Entwürfe der 1990er und dem 2008 vorgestellten Zookonzept bis zu heutigen, teils schon wieder verworfenen Ideen. Planung und Bau sowohl des alten (17 Jahre Bauzeit) wie auch des neuen Elefantenhauses nehmen darin einen großen Bereich ein, mit detaillierten Funktionsbeschreibungen samt Abbildungen und auch mit kritischen Anmerkungen zur Funktionalität und dem jeweiligen Elefanten-Management.
Allein die „Tuli-Elefanten-Affäre“ nimmt fast 50 Seiten ein – der nun schon fast 20 Jahre zurückliegende große Skandal rund um Elefantenimporte aus Südafrika, der damals medial weltweit für Aufsehen sorgte und eine verhärtete Diskussion in der Fachwelt und mit Zookritikern bewirkte. Die Hintergründe nach 20 Jahren aufzuhellen und die Fakten herauszuarbeiten (und nicht zuletzt die längst nicht mehr zugängliche Recherche des damaligen Praktikanten Andreas Filz wieder verfügbar zu machen) ist ein großer Verdienst, insbesondere, da solche Affären im Abstand weniger Jahre immer wieder auf die Zoowelt zurollen und leider auch immer wieder die gleichen unvorbereiteten Reaktionen bewirken. Letztlich waren es die verwirrende Faktenlage der Tuli-Affäre und die Unzugänglichkeit vieler Quellen auch für die Zoowelt, die uns damals anregten, wenig später die Zoopresseschau zu gründen.
Bisher nicht aufgearbeitet waren aber auch der umstrittene Elefantentausch 2013 samt Todesfällen und folgender medialer Diskussion, die Bullensuche, die zahlreichen Verwaltungs- und Direktoratswechsel (4 in 7 Jahren) und viele andere Themen, die nicht nur die Medien beschäftigten. Daneben werden auch übergreifende Sachverhalte, wie die künstliche Befruchtung als Ersatz für eine Bullenhaltung, das (frühere) EEP-Management, die Analyse des europäischen Zoo-Elefantenbestandes und die Chancen, in Erfurt eine Herde durch Nachwuchs aufzubauen, nicht ausgespart. Zahlreiche Kästen und Sonderkapitel beschäftigen sich mit Hintergrund-Themen wie Zirkuselefanten, Zoos in der DDR, Elefantenmanagement und Zuchtprogrammen und stellen alle 17 bisher gehaltenen Elefanten des Zooparks vor. Nicht weniger als 400 Abbildungen samt Plänen, Schemata und Dokumenten ergänzen den Text. Leider, leider fehlt mal wieder ein Register, was gezieltes Nachschlagen in der Fülle der Informationen sehr erschwert.
Erfreulicherweise handelt es sich nicht um eine Abrechnung eines „rausgeworfenen“ Zoodirektors, sondern um eine erfrischend unparteiische und selbstkritische Betrachtung aus zeitlicher Distanz und abseits von Verpflichtungen. Dass dabei auch verfehlte Planungen, Kontroversen, falsche Entscheidungen, fast tödliche Unfälle und Haltungsfehler offen angesprochen und aus heutiger Sicht diskutiert werden, ist besonders hervorzuheben, haben doch die oft „bereingten“ Jubiläumsbände anderer Zoos mit Schwerpunkt Selbstbeweihräucherung nur einen begrenzten Lernwert. Klassische Tiergärtnerei und Tierschützer, um nur zwei Lager zu nennen, werden in Elefantenfragen gleichermaßen kritisiert wie auf gültige Argumente geprüft. In der Rückschau und von außen ist eben doch alles etwas differenzierter. Wie neutral und unvoreingenommen die Darstellung gerade der aktuellsten Begebenheiten ist, werden daher in gebührendem zeitlichen Abstand erst die nächsten Generationen bewerten können.
Für mich als Außenstehenden, der zwar die Erfurter Elefantenthemen über mehr als 25 Jahre und seit der Zookunft/Tuli-Affäre intensiv mitverfolgt hat, sich aber selbst keineswegs für einen Elefantenexperten hält, hielt das Buch so manche Offenbarung und Aha-Effeke bereit. Aufgrund der differenzierten Betrachtungen sei das Buch daher neben allen Rüssel-Fans auch insbesondere allen Elefantenhaltern und Für-Elefanten-Planern dringend zur Lektüre empfohlen, vor allem jenen, die nicht auf Jahrzehnte Elefantenerfahrung zurückblicken können und denen daher oft das Verständnis für Zusammenhänge fehlt. D. Petzold
Rezension aus der Zoopresseschau Nr. 927 vom 11.6.18